Tilidin-Ratgeber: Alles über Anwendung, Gefahren und Strategien zur Reduktion
Tilidin ist ein starkes Schmerzmittel, das vielen Patienten mit starken Schmerzen Linderung verschafft. Doch die Einnahme geht mit erheblichen Risiken einher, insbesondere dem Potenzial für eine schnelle Abhängigkeitsentwicklung. Dieser Ratgeber soll Ihnen als Leitfaden dienen. Es wird thematisiert, wie Tilidin im Körper wirkt, wie es angewendet wird und mit welchen Gefahren eine Einnahme einhergehen kann. Vor allem aber erhalten Sie eine klare, schrittweise Anleitung zur Reduktion der Dosis, falls dies notwendig wird. Ziel ist es, Ihnen das Wissen an die Hand zu geben, um gemeinsam mit Ihrem Arzt und Apotheker fundierte Entscheidungen über Ihre Schmerztherapie zu treffen und die Kontrolle über Ihre Gesundheit zu behalten.
Was ist Tilidin und warum ist dieser Ratgeber wichtig?
Einleitung: Tilidin als Schmerzmittel – Fluch oder Segen?
Für Patienten, die unter starken akuten oder chronischen Schmerzen leiden, kann der Wirkstoff Tilidin eine entscheidende Verbesserung der Lebensqualität bedeuten. Als potentes Opioid-Schmerzmittel ist es in der Lage, auch quälende Schmerzzustände zu durchbrechen, bei denen andere Medikamente versagen. Diese hohe Wirksamkeit ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist das erhebliche Risiko von Nebenwirkungen, Toleranzentwicklung und einer schnell entstehenden körperlichen sowie psychischen Abhängigkeit. Tilidin bewegt sich somit auf einem schmalen Grat zwischen therapeutischem Nutzen und ernsthafter Gefahr. Ein verantwortungsvoller Umgang und ein Verständnis für den Wirkstoff sind daher unerlässlich.
Die Relevanz des Themas: Zunehmende Abhängigkeit
Die Problematik ist keine Seltenheit. Schätzungen zufolge zeigen rund 2,9 Millionen Menschen in Deutschland einen problematischen Medikamentenkonsum, wobei Schmerzmittel eine zentrale Rolle spielen. Besonders alarmierend ist die Entwicklung bei jüngeren Menschen. So stiegen die Tilidin-Verordnungen für 15- bis 20-Jährige im Jahr 2019 im Vergleich zu 2017 um das 30-fache an. Diese Zahlen verdeutlichen, dass der Bedarf an Aufklärung und Strategien im Umgang mit diesem Opioid grösser ist denn je.
Ziel dieses Ratgebers: Umfassende Aufklärung und konkrete Hilfe
Dieser Ratgeber verfolgt ein klares Ziel: Er soll Ihnen eine verlässliche Informationsquelle sein, die einige wichtige Aspekte von Tilidin beleuchtet – von der Wirkweise über die Anwendung bis hin zu den unvermeidbaren Risiken. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der praktischen Hilfe. Wir erklären Ihnen, wie Sie Frühwarnzeichen einer problematischen Entwicklung erkennen und, am wichtigsten, wie eine Reduktion der Dosis oder ein kompletter Entzug mit unserer Hilfe gestaltet werden kann. Dieser Leitfaden soll Sie befähigen, ein aktiver und informierter Partner in Ihrer eigenen Schmerztherapie zu sein und bei Bedarf den Weg aus der Abhängigkeit, mit unserer Hilfe, sicher zu beschreiten.
Tilidin verstehen: Wirkweise, Anwendung und Besonderheiten
Der Wirkstoff Tilidin: Ein Opioid-Analgetikum im WHO-Stufenschema
Tilidin ist ein synthetisch hergestellter Wirkstoff aus der Gruppe der Opioide. In der Schmerztherapie wird es nach dem Stufenschema der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als mittelstark bis stark wirksames Schmerzmittel (Stufe 2) eingestuft. Es dient der Behandlung von starken und sehr starken Schmerzen, für die schwächere Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol nicht mehr ausreichen. Als Opioid entfaltet Tilidin seine Wirkung direkt im zentralen Nervensystem und besitzt neben seiner schmerzlindernden auch eine psychotrope Komponente, die das Potenzial für Missbrauch und Abhängigkeit begründet.
Wirkmechanismus im Körper:
Nach der Einnahme wird Tilidin im Körper, genauer gesagt in der Leber, in seine eigentlich wirksame Form umgewandelt: Nortilidin. Dieser aktive Metabolit bindet an spezifische Andockstellen im Gehirn und im Rückenmark, die sogenannten Opioid-Rezeptoren. Durch diese Bindung wird die Weiterleitung von Schmerzsignalen zum Gehirn gehemmt. Der Schmerz wird dadurch nicht beseitigt, aber seine Wahrnehmung wird stark gedämpft. Der Patient empfindet eine deutliche Linderung. Gleichzeitig kann die Aktivierung dieser Rezeptoren auch zu den typischen Opioid-Nebenwirkungen wie Euphorie, Sedierung und Übelkeit führen, was die Komplexität der Therapie unterstreicht.
Die Kombination mit Naloxon: Warum es Tilidin sicherer machen soll
Nahezu alle in Deutschland erhältlichen Tilidin-Präparate enthalten zusätzlich den Wirkstoff Naloxon. Naloxon ist ein sogenannter Opioid-Antagonist, also ein Gegenspieler der Opioide. Seine Aufgabe ist es, das Missbrauchspotenzial von Tilidin zu verringern. Bei korrekter oraler Einnahme in der verschriebenen Dosis wird Naloxon in der Leber fast vollständig abgebaut (hoher First-Pass-Effekt) und gelangt kaum in den Blutkreislauf. Es beeinträchtigt die schmerzlindernde Wirkung von Tilidin daher nicht. Wird das Medikament jedoch missbräuchlich in sehr hohen Dosen eingenommen oder gar injiziert, umgeht man diesen Leber-Metabolismus. Naloxon gelangt in wirksamer Konzentration in den Körper, besetzt die Opioid-Rezeptoren und blockiert die Wirkung von Tilidin. Der erhoffte euphorische Rausch bleibt aus. Bei bereits abhängigen Personen kann dies sogar akute und sehr unangenehme Entzugssymptome auslösen. Diese Kombination ist somit ein eingebauter Schutzmechanismus, der jedoch nicht umfassend ist.
Darreichungsformen und ihre Bedeutung:
Tilidin ist hauptsächlich in zwei verschiedenen Formen erhältlich, deren korrekter Einsatz für den Therapieerfolg entscheidend ist:
- Retardtabletten: Diese Tabletten geben den Wirkstoff über einen langen Zeitraum (meist 12 Stunden) langsam und gleichmäßig ab. Sie sind die Standardform für die Behandlung von chronischen Schmerzen, da sie einen konstanten Wirkstoffspiegel im Blut gewährleisten und so dauerhafte Schmerzkontrolle ermöglichen. Der retardierende Effekt reduziert zudem das Risiko eines schnellen Anflutens und somit das Missbrauchspotenzial.
- Tropfen: Tilidin-Tropfen wirken sehr schnell, da der Wirkstoff rasch vom Körper aufgenommen wird. Sie sind für die Behandlung von akuten Schmerzspitzen oder Durchbruchschmerzen gedacht. Aufgrund des schnellen Wirkeintritts und des damit verbundenen «Kicks» haben Tropfen ein deutlich höheres Potenzial für eine missbräuchliche Anwendung und die Entwicklung einer Abhängigkeit.
Korrekte Indikation: Wann Tilidin verschrieben wird (Schmerzbehandlung, Schmerztherapie)
Eine Therapie mit Tilidin ist ausschließlich für die Behandlung von starken bis sehr starken Schmerzen vorgesehen. Ein Arzt wird dieses Opioid nur dann verschreiben, wenn schwächere Schmerzmittel (Nicht-Opioide oder schwache Opioide der WHO-Stufe 1) keine ausreichende Wirkung zeigen oder nicht vertragen werden. Typische Anwendungsgebiete sind:
- Starke akute Schmerzen nach Operationen oder Verletzungen.
- Chronische Schmerzzustände, z. B. bei fortgeschrittener Arthrose, schweren Nervenschmerzen oder rheumatischen Erkrankungen.
- Schmerzen im Rahmen einer Krebserkrankung (Tumorschmerzen). Die Entscheidung für eine Schmerztherapie mit Tilidin wird vom Arzt nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko für den jeweiligen Patienten getroffen.
Anwendung und Dosierung:
Die ärztliche Verordnung: Ein Rezept ist unerlässlich
Tilidin unterliegt in Deutschland dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Das bedeutet, es darf nur auf einem speziellen Betäubungsmittelrezept vom Arzt verordnet werden. Diese strenge Regelung soll den unkontrollierten Zugang und Missbrauch des Medikaments verhindern. Jegliche Einnahme ohne ärztliche Verordnung und Begleitung ist illegal und gefährlich. Der Arzt ist ein wichtiger Partner in der Therapie; er legt die Dosierung fest, überwacht den Verlauf und passt die Behandlung bei Bedarf an.
Individuelle Dosis und Einnahmeschema: Warum Eigenmächtigkeit gefährlich ist
Die richtige Dosis Tilidin ist hochindividuell und hängt von der Stärke der Schmerzen, dem Alter des Patienten, seinem Körpergewicht und eventuellen Vorerkrankungen ab. Der Arzt beginnt in der Regel mit einer niedrigen Dosis und steigert diese langsam, bis eine zufriedenstellende Schmerzlinderung erreicht ist (Titration). Ein festes Einnahmeschema, insbesondere bei Retardtabletten (z. B. alle 12 Stunden), ist entscheidend für einen gleichmäßigen Wirkspiegel und eine effektive Schmerztherapie. Eine eigenmächtige Erhöhung der Dosis, weil die Wirkung nachlässt (Toleranzentwicklung), oder eine häufigere Einnahme ist der erste Schritt in eine Abhängigkeit. Dies kann schnell zu einem Kontrollverlust und einer gefährlichen Überdosierung führen. Sprechen Sie jegliche Veränderungen in der Schmerzwahrnehmung offen an.
Wichtige Hinweise zur Einnahme:
Um die Sicherheit und Wirksamkeit der Therapie zu gewährleisten, beachten Sie bitte folgende Punkte:
- Retardtabletten unzerkaut einnehmen: Schlucken Sie die Tabletten immer im Ganzen mit ausreichend Flüssigkeit. Sie dürfen niemals zerkaut, zerbrochen oder zerstoßen werden. Dies würde den Retard-Mechanismus zerstören, was zu einer plötzlichen Freisetzung der gesamten Wirkstoffmenge und einer lebensgefährlichen Überdosis führen kann.
- Zeitplan einhalten: Nehmen Sie das Medikament exakt nach dem vom Arzt vorgegebenen Zeitplan ein. Dies sichert eine konstante Schmerzkontrolle.
- Einnahme mit Nahrung: Die Einnahme zu oder nach den Mahlzeiten kann helfen, häufige Nebenwirkungen wie Übelkeit zu reduzieren.
- Kein Alkohol: Verzichten Sie während der gesamten Therapie mit Tilidin strikt auf Alkohol. Die Kombination kann die dämpfende Wirkung auf das zentrale Nervensystem und die Atmung unkontrollierbar verstärken.
Wann Tilidin nicht angewendet werden sollte (Kontraindikationen)
In bestimmten Situationen darf Tilidin nicht oder nur unter größter Vorsicht angewendet werden. Zu den wichtigsten Kontraindikationen gehören:
- Überempfindlichkeit gegen Tilidin, Naloxon oder andere Bestandteile des Medikaments.
- Bestehende Abhängigkeit von Opioiden (außerhalb einer ärztlich kontrollierten Substitutionstherapie).
- Schwere Atemfunktionsstörungen (Atemdepression).
- Akuter Asthmaanfall.
- Darmlähmung (paralytischer Ileus).
- Schwere Leberfunktionsstörungen.
- Schwangerschaft und Stillzeit. Informieren Sie Ihren Arzt und Apotheker immer vollständig über alle bestehenden Erkrankungen, um Ihre Sicherheit zu gewährleisten.
Gefahren und Risiken: Was Sie über Tilidin wissen müssen
Häufige Nebenwirkungen und ihr Management:
Wie jedes wirksame Medikament hat auch Tilidin Nebenwirkungen, die besonders zu Beginn der Therapie auftreten können. Die häufigsten sind:
- Übelkeit und Erbrechen: Treten sehr häufig auf, lassen aber oft nach einigen Tagen nach, wenn sich der Körper an den Wirkstoff gewöhnt hat. Die Einnahme mit einer Mahlzeit kann helfen.
- Schwindel und Benommenheit: Diese können die Reaktionsfähigkeit stark beeinträchtigen. Vorsicht ist beim Führen von Fahrzeugen und Bedienen von Maschinen geboten.
- Müdigkeit und Sedierung: Eine ausgeprägte Schläfrigkeit ist möglich.
- Verstopfung (Obstipation): Eine typische Nebenwirkung von Opioiden, da sie die Darmbewegung verlangsamen. Achten Sie auf eine ballaststoffreiche Ernährung, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Bewegung. Bei Bedarf kann der Arzt ein Abführmittel verordnen. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Apotheker über anhaltende oder stark belastende Nebenwirkungen. Oft gibt es einfache Strategien zur Linderung.
Entwicklung von Toleranz und Abhängigkeit: Eine schleichende Gefahr
Die größte Gefahr bei der längerfristigen Einnahme von Opioiden wie Tilidin ist die Entwicklung einer Toleranz und Abhängigkeit.
- Toleranzentwicklung: Der Körper gewöhnt sich an den Wirkstoff. Das bedeutet, dass mit der Zeit eine höhere Dosis benötigt wird, um die gleiche schmerzlindernde Wirkung zu erzielen. Dies ist eine normale physiologische Anpassung, aber auch ein Warnsignal.
- Körperliche Abhängigkeit: Bei regelmäßiger Einnahme stellt sich der Körper auf die ständige Zufuhr des Opioids ein. Wird das Medikament abrupt abgesetzt oder die Dosis stark reduziert, reagiert der Körper mit Entzugssymptomen.
- Psychische Abhängigkeit (Sucht): Hier entwickelt sich ein unkontrollierbares Verlangen (Craving) nach dem Medikament, auch wenn keine medizinische Notwendigkeit mehr besteht. Der Konsum bestimmt das Denken und Handeln des Patienten, und es wird trotz negativer Konsequenzen weiter eingenommen.
Gefährliche Wechselwirkungen:
Die gleichzeitige Einnahme von Tilidin mit anderen Substanzen kann zu unvorhersehbaren und gefährlichen Effekten führen. Besondere Vorsicht ist geboten bei:
- Alkohol, Beruhigungsmitteln (Benzodiazepine), Schlafmitteln und anderen zentral dämpfenden Medikamenten: Die Kombination kann zu einer starken Sedierung, einem Abfall des Blutdrucks und einer lebensgefährlichen Hemmung des Atemzentrums (Atemdepression) führen.
- Bestimmten Antidepressiva (z. B. SSRI): In Kombination mit Tilidin kann das Risiko eines sogenannten Serotonin-Syndroms steigen. Dies ist ein potenziell lebensbedrohlicher Zustand, der sich durch Symptome wie Unruhe, Halluzinationen, schnellen Herzschlag, Fieber und Muskelkrämpfe äußert. Informieren Sie Ihren Arzt und Apotheker lückenlos über alle Medikamente, auch rezeptfreie Präparate und Nahrungsergänzungsmittel, die Sie einnehmen.
Überdosierung und Vergiftung: Ein medizinischer Notfall
Eine Überdosis Tilidin ist ein lebensbedrohlicher Notfall, der sofortiges medizinisches Eingreifen erfordert. Die klassischen Anzeichen einer Opioid-Vergiftung sind:
- Extreme Schläfrigkeit bis hin zum Koma
- Stecknadelkopfgrosse Pupillen
- Langsame, flache und unregelmäßige Atmung
- Bläuliche Verfärbung der Lippen und Haut (Zyanose)
- Schlaffe Muskulatur und niedriger Blutdruck Die Tatsache, dass im Jahr 2022 rund 2.300 Personen wegen Opioid-Vergiftungen im Krankenhaus behandelt werden mussten, unterstreicht die reale Gefahr. Bei Verdacht auf eine Überdosierung muss sofort der Notarzt gerufen werden.
Besondere Patientengruppen: Risiken für Leberfunktion (Leberzirrhose) und andere Vorerkrankungen
Für Patienten mit bestimmten Vorerkrankungen ist die Therapie mit Tilidin mit besonderen Risiken verbunden. Da der Wirkstoff in der Leber verstoffwechselt und über die Nieren ausgeschieden wird, müssen Patienten mit eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion besonders engmaschig überwacht werden. Bei schweren Lebererkrankungen wie einer Leberzirrhose ist die Umwandlung von Tilidin in seine aktive Form gestört, was die Wirkung unvorhersehbar macht. Auch ältere Patienten reagieren oft empfindlicher auf Opioide und benötigen eine sorgfältig angepasste, meist niedrigere Dosis.
Frühwarnzeichen: Wann eine Reduktion der Tilidin-Dosierung ratsam ist
Erkennen Sie die Anzeichen einer kritischen Entwicklung:
Eine Abhängigkeit entwickelt sich oft schleichend. Es ist wichtig, auf subtile Verhaltensänderungen bei sich selbst oder bei Angehörigen zu achten. Diese können ein Hinweis darauf sein, dass der Konsum problematisch wird:
- Gedankliche Fixierung: Die Gedanken kreisen ständig um das Medikament, die nächste Einnahme und die Sicherstellung des Vorrats.
- Dosissteigerung ohne Absprache: Die Dosis wird eigenmächtig erhöht, weil die Wirkung nachlässt.
- «Doctor Shopping»: Es werden mehrere Ärzte aufgesucht, um sich Rezepte zu beschaffen.
- Verheimlichung des Konsums: Die Einnahme wird vor Familie oder Freunden geheim gehalten oder die Menge heruntergespielt.
- Vernachlässigung von Pflichten: Soziale, berufliche oder familiäre Verpflichtungen werden aufgrund des Medikamentenkonsums oder seiner Beschaffung vernachlässigt.
- Auftreten von Entzugssymptomen: Bei verspäteter Einnahme treten erste körperliche Entzugserscheinungen auf.
Die Bedeutung des offenen Gesprächs: Arzt und Apotheker als Vertrauenspersonen
Wenn Sie eines oder mehrere dieser Anzeichen bei sich bemerken, ist dies kein Grund für Scham, sondern ein wichtiges Signal zum Handeln. Der entscheidende erste Schritt ist das offene Gespräch mit Ihrem behandelnden Arzt. Er kann ein Verbündeter auf dem Weg zu einer kontrollierten Reduktion sein. Auch Ihr Apotheker kann eine wertvolle und diskrete Anlaufstelle sein. Ihre Bedenken sollten unbedingt ernst genommen werden, um Ihnen erste Informationen zu bieten und Sie dazu zu ermutigen, das Gespräch mit Ihrem Arzt oder unserer Klinik zu suchen. Alle Beteiligten unterliegen der Schweigepflicht und sind dazu da, Ihnen zu helfen, nicht um Sie zu verurteilen.
Strategien zur Reduktion von Tilidin: Ein Anfang auf dem Weg aus der Abhängigkeit
Der erste Schritt kann ein Gespräch mit uns oder dem behandelnden Arzt sein
Der wichtigste Grundsatz lautet: Setzen Sie Tilidin nicht abrupt ab! Ein plötzlicher Entzug kann zu körperlichen und psychischen Entzugssymptomen führen, die sehr unangenehm sind. Der erste Schritt ist oftmals das Gespräch mit dem Arzt, der Ihnen das Medikament verordnet hat. Bereiten Sie sich auf dieses Gespräch vor: Schildern Sie offen Ihre Beobachtungen, Ihre Sorgen und Ihren Wunsch, die Dosis zu reduzieren oder das Medikament ganz abzusetzen. Auf dieser Grundlage kann ein Plan entwickelt werden, der auf Ihre individuelle Situation zugeschnitten ist. Gerne unterstützen wir sie beratend, sollte diese Hilfestellung von Ihrem behandelnden Arzt nicht angeboten werden können.
Der Entzugsplan: Langsame Dosisreduktion
Ein guter Weg Tilidin zu reduzieren, ist immer ein individuell angepasstes Schema zu fahren. Dabei wird die Dosis nicht auf einmal, sondern schrittweise über einen längeren Zeitraum reduziert. Dies gibt dem Körper die Möglichkeit, sich langsam an die geringere Wirkstoffmenge zu gewöhnen und die Entzugssymptome auf ein Minimum zu reduzieren. Weiter können sich Hinweise finden lassen, was mit dem zugrunde liegenden Schmerzcharakter passiert. Ein typischer Entzugsplan könnte wie folgt aussehen:
- Bestandsaufnahme: Ermitteln und einpendeln der aktuellen Tagesdosis.
- Festlegung der Reduktionsschritte: Erfahrungsgemäss macht eine Reduktion in 10% Schritten Sinn, bis die Dosierung ein Niveau erreicht, von dem aus man mit unserer Hilfe einen Entzug starten kann.
- Zeitintervalle definieren: Die Reduktion erfolgt in festen Zeitabständen, beispielsweise alle ein bis zwei Wochen. Dies gibt dem Körper Zeit, sich anzupassen. Die Wahl der Zeitintervalle ist jedoch immer individuell und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es kann auch alle 4 bis 5 Tage ein Schritt erfolgen, je nach Zielsetzung. Mit einer guten Perspektive (z.B. Entzugsplatz) gelingt es zumeist besser.
- Begleitende Unterstützung: Bei Bedarf können Medikamente gegen spezifische Entzugssymptome (z.B. gegen Übelkeit oder Unruhe) eingenommen werden. Auch psychologische Unterstützung kann in dieser Phase eine Option sein.
- Nicht zu schnell zu viel wollen: Geduld ist wichtig. Eine langsame und kontrollierte Reduktion ist deutlich erfolgversprechender und sicherer als ein überstürzter Versuch.
What’s Next?
Sie haben nun ein umfassendes Verständnis für den Wirkstoff Tilidin, seine Anwendung, die damit verbundenen Risiken und vor allem für Strategien zur Reduktion gewonnen. Dieser Ratgeber hat Ihnen gezeigt, dass Tilidin ein wirksames Werkzeug in der Schmerztherapie sein kann, dessen Einsatz jedoch Wissen und Erfahrung erfordert. Die Entwicklung einer Abhängigkeit ist ein ernstzunehmendes Risiko. Sollte sich eine solche bereits eingestellt haben, ist der Ausstieg aus der Tilidin-Abhängigkeit mit unserer Hilfe gut zu schaffen.
Ihre nächsten Schritte sollten sein:
- Ehrliche Selbstreflexion: Bewerten Sie Ihren eigenen Umgang mit Tilidin anhand der genannten Frühwarnzeichen. Sind Sie besorgt über Ihre Einnahmegewohnheiten?
- Suchen Sie das Gespräch: Zögern Sie nicht, einen Termin mit uns zu vereinbaren, wenn Sie Beratung suchen, einen Reduktionsplan oder einen Entzug wünschen. Dies ist der wichtigste Schritt zur Wiedererlangung der Kontrolle.
- Nutzen Sie die Ressourcen: Sprechen Sie mit Ihrem behandelnden Arzt oder auch Apotheker. Diese Personen können Ihnen zusätzliche Informationen geben und als Ansprechpartner für Ihre Fragen dienen.
Indem Sie proaktiv handeln und die angebotene Hilfe annehmen, können Sie dazu beitragen, dass Ihre Schmerztherapie Ihnen dient, anstatt Sie zu kontrollieren. Sie haben die Fähigkeit, informierte Entscheidungen für Ihre Gesundheit zu treffen.
Fragen und Antworten zur Tilidin-Abhängigkeit
Eine Person, die mir nahesteht, ist tilidinabhängig. Wie kann ich helfen?
Das Wichtigste, und oft auch das Schwierigste ist, zu akzeptieren, dass der Betroffene nur aus eigener Überzeugung bereit sein wird, an seinem Leben etwas zu ändern. Niemand kann einen anderen «retten». Durch die Wirkung von Tilidin ergibt sich eine verzerrte Wahrnehmung der Realität. Eine klare Haltung der Umgebung, die vom Süchtigen nicht die Konsequenzen seiner Sucht fernhält und von ihm verantwortliches Handeln fordert – und damit auch zutraut – ist deshalb häufig die beste Hilfe.
Bin ich abhängig von Tilidin?
Abhängigkeitskriterien nach dem ICD-10: Die ICD-10 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) befasst sich mit international anerkannten Klassifikationen und Kriterien zur Klärung medizinischer Diagnostik. Nach ICD-10 besteht z. B eine Opioid- oder Opiatabhängigkeit, wenn während des letzten Jahres mindestens drei der folgenden Symptome oder Verhaltensweisen vorkamen: 1. ein starker Wunsch oder Zwang, die Opiate oder Opioide zu konsumieren, 2. verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Konsums (Kontrollverlust), 3. Substanzgebrauch mit dem Ziel, Entzugssymptome zu mildern, 4. körperliches Entzugssyndrom, 5. Toleranzentwicklung (Gewöhnung an höhere Dosen), 6. fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen, 7. anhaltender Suchtmittelkonsum trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen (wie Müdigkeit, depressive Verstimmung, Arbeitsplatzverlust) und 8. eingeengtes Verhaltensmuster im Umgang mit der Substanz. H. Dilling, W. Mambour, H. Schmidt: Internationale Klassifikation psychischer Störungen: ICD-10. 2. Auflage. Weltgesundheitsorganisation, Huber, Bern 2008.
Wie entsteht eine Opioid-Abhängigkeit?
Der menschliche Organismus ist in der Lage seine eigenen Opioide («endogene Morphine = Endorphine) herzustellen. Äusserst potente Substanzen, die schmerzstillende und euphorisierende Wirkungen zeigen. Durch wiederholte Zufuhr von externen Morphinen stellt sich der Körper auf den dadurch künstlich erhöhten Spiegel ein. Da ein übergrosses Angebot vorliegt, wird die körpereigene Produktion vermindert. Der Stoffwechsel des Organismus passt sich in vielerlei Hinsicht der externen Zufuhr an. Das Gehirn lernt, auf eine Art und Weise zu funktionieren, die dem dauernd erhöhten Pegel durch externe Opioide Rechnung trägt. Das Ausmass dieser «Abhängigkeit von externer Zufuhr» wird dabei im Wesentlichen von der Dosierung, der Dauer des Konsums, der Art der Substanz und Konsumform bestimmt. Deshalb ist es möglich, dass jemand auf Dauer mit einer Dosis lebt, die für einen gesunden Menschen mehr als einmal tödlich wäre. Dieses Phänomen nennt sich Opioidtoleranz. Die Gewöhnung verlangt nach immer höheren Dosen um den gleichen Effekt zu erhalten. Dabei gilt eine nichtlineare Skala. Wenn also die Opioidtoleranz dazu führt, dass der für das Wohlbefinden notwendige Spiegel nicht mehr erreicht wird, erfolgt eine Erhöhung der Dosis. Wird nun die Dosis um z.B. 10% erhöht, führt das auf Dauer zu hohen Schritten in absoluten Zahlen, die dann mit der Zeit über die Gewöhnung wiederum an Wirkung einbüssen. Dieses «hinterherrennen» ist Ursache für viele Probleme, zum Beispiel bei chronischen Schmerzen, da mit den höheren Dosen auch die Nebenwirkungen zunehmen. In der Regel ist es empfehlenswerter, die Opioidtoleranz mit gezielten Massnahmen in Schach zu halten als die Dosis zu erhöhen. Während einer Entzugsbehandlung wir die Opioidtoleranz praktisch vollkommen rückgängig gemacht, das heisst der erneute Konsum der Eingangsdosis könnte am Ende des Entzugs zu ernsten Problemen («Überdosis») führen. Die Opioid-Abhängigkeit bleibt ohne direkte Konsequenzen, solange der notwendige Spiegel durch externe Zufuhr dauernd erneuert wird und ein gewisses Minimum nicht unterschreitet. Diese stete Erneuerung wird durch den Stoffwechsel verlangt, der die Opioide laufend abbaut. Solange die Zufuhr regelmässig erfolgt, bleibt der Umbau der Funktionsweise des Organismus ohne allzu offensichtliche Symptome. Mit einer Opioid-Abhängigkeit lässt sich sehr unauffällig leben, wenn die (oft mehrmals) tägliche Zufuhr nicht unterbrochen wird. Kommt es zu einem Unterbruch der Einnahme, sinkt der Spiegel der körperfremden Opioide langsam ab. Ab einer bestimmten Schwelle wird das als Entzugserscheinung wahrgenommen. Mit Anfänglich nur leichten, mit Dauer des Ausbleibens aber immer stärkeren Symptomen verlangt der Körper nach externer Zufuhr. Diesem heftigen auch psychischem Verlangen wird dann meistens wieder entsprochen und der Zyklus beginnt von Neuem.
Was sind Entzugssymptome?
Anzeichen, welche sich nach einer Gewöhnung, bei der ausbleibenden Zufuhr eines Opioids zeigen. Die Symptome treten in Abhängigkeit der eingenommenen Substanz und der Applikationsform (z.B. oral oder nasal), zeitlich schneller oder langsamer und schwächer oder stärker auf. Unabhängig von der Art des verwendeten Opioids sind die Anzeichen für einen Entzug bei allen Opioiden ähnlich. Kurz ein paar der häufigsten (körperlichen) Entzugssymptome: • Rhinorrhoe (laufende Nase) • Niesen • Mydriasis (Weitstellung der Pupillen) • Tränenfluss • Gähnen • Doppelbilder • Übelkeit und Erbrechen • Abdominelle Spasmen (Bauch- und Unterleibskrämpfe) • Diarrhoe (Durchfall) • Kein oder sehr unruhiger Schlaf • Muskelschmerzen oder -krämpfe • Schwitzen • Piloerektion (Gänsehaut), wiederholte Schauer • Schüttelfrost • Tachykardie (schneller Puls) oder Hypertonie (hoher Blutdruck) Daneben gibt es auch psychische Entzugssymptome wie Suchtdruck (Craving). Der Begriff «Craving» bezeichnet ein starkes Verlangen, Suchtmittel zu konsumieren und sind ein zentrales Merkmal einer Sucht. Auftreten und Ausprägung sind in hohem Masse zustands- und situationsabhängig. Craving wird meistens begleitet von Unruhegefühlen, Ängsten und depressiven Verstimmungen.
Was ist der Unterschied zwischen Abhängigkeit und Sucht?
Die ESCAPE-Methode erlaubt es, den akuten körperlichen Heroin-Entzug zu verkürzen. Die anschliessende Erholungszeit, also die Zeit bis zur Wiederherstellung der vollen Leistungsfähigkeit, ist individuell. Sie hängt von der bestehenden körperlichen Fitness, dem Lebensalter und der psychischen Gesundheit ab und kann von wenigen Tagen bis zu ein bis zwei Wochen aktiver Lebensgestaltung umfassen. Wichtig ist, sich diese Zeit für die Regeneration zu geben.
Tilidin-Entzug machen
So gelingt ein erfolgreicher Tilidin-Entzug
ESCAPE Tilidinentzug
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